Bundeswehr: Was jetzt getan werden müsste

Mit dieser nüchternen Analyse wollen wir aufzeigen, was nun im Bundesverteidigungsministerium zu tun wäre – unvoreingenommen und sachlich. Doch es gibt auch andere Sichtweisen; was von Boris Pistorius noch zu erwarten wäre, kann etwa hier nachgelesen werden.

Die Bundeswehr hat ein Problem. Bis vor wenigen Tagen mochte der ein oder andere noch geglaubt haben, dieses Problem trüge den Namen Christine Lambrecht. Mittlerweile hat sie ihren Rücktritt erklärt. Doch mit ihrem Weggang wird auch einmal mehr deutlich: Die Bundeswehr wird auch weiterhin Probleme haben. Probleme, die die Truppe schon lange vor Lambrecht mit sich herumgetragen hatte, und Probleme, die sie auch in Zukunft haben wird. Aber Boris Pistorius, der neue Verteidigungsminister, hat nicht nur eine riesige Mängelliste abzuarbeiten, sondern ihm bietet sich auch eine einzigartige Chance.

Neuer Minister, neues Glück?

Die Nominierung von Boris Pistorius zum neuen Leiter im Bendlerblock gilt als echte Überraschung: Zuvor kursierten Namen wie der von Eva Högl, der Wehrbeauftragten, und der von Arbeitsminister Hubertus Heil. Doch mit dem niedersächsischen Innenminister zaubert Kanzler Scholz jemanden aus dem Hut, dem gleichermaßen Kompetenzen wie Ambitionen zugerechnet werden. An beidem hatte es Christine Lambrecht gemangelt; weder hatte sie zu erkennen gegeben, dass ihr der Job als Verteidigungsministerin am Herzen läge noch hatte sie sich ausreichend in die Materie eingearbeitet, um ihrer Aufgabe gerecht zu werden.

Boris Pistorius ist kein altgedienter Bundeswehroffizier, den viele Patrioten offenbar gern im Bundesverteidigungsministerium gesehen hätten. Das ist aber auch gar nicht nötig: Eine der wesentlichen Aufgaben des neuen IBuK – der Bundeswehr-Terminus für den Inhaber der Befehls- und Kommandogewalt – wird nämlich das Durchdringen der alten Bundeswehr-Strukturen und das Aufbrechen des verkrusteten Systems sein. Eine Aufgabe, an der sich Lambrecht, im Gegensatz zu ihren reformfreudigen Vorgängern, gar nicht erst versucht hatte. Es ist wichtig, dass ein Verteidigungsminister die Dienstgrade der Truppe beherrscht und den Soldaten das Gefühl gibt, etwas von den Dingen zu verstehen, mit denen sie sich jeden Tag beschäftigen.

Aber ein Verteidigungsminister ist auch der Leiter eines riesigen Behördenapparats, eines „Verwaltungsmonsters“, der bisweilen zeigt, dass ihm das Kommen und Gehen der Verteidigungsminister gleichgültig ist und dass selbst die Kampfkraft der Truppe nur eine untergeordnete Rolle spielt. „Ihre Kernkompetenz ist den Streitkräften über die Jahre hinweg bei ihrer vollständigen Bürokratisierung abhandengekommen: der Kampf“, schreibt der Spiegel in einem aktuellen Artikel über den Zustand der Truppe. Gut also, dass mit Pistorius jemand kommt, der über Erfahrung im Lenken solch bürokratischer Gebilde verfügt. Das ist wichtiger als ein einseitiger und voreingenommener Blick aus der Truppe heraus. Wenn die Nominierung Christine Lambrechts aufgrund ihres Geschlechts linke Symbolpolitik war, dann wäre die Nominierung eines Bundeswehr-„Veteranen“ Symbolpolitik von rechts. Nun gilt Olaf Scholz gemeinhin nicht als „Rechter“ und zudem erfordert das Amt jetzt eine Grundüberholung; etwas, was jemand, der in diesem System aufgewachsen ist, schwerlich leisten kann. Der „Stallgeruch“ würde zum Bremsklotz.

Brauchen wir noch eine Armee?

Ein Großteil der Probleme, die die Bundeswehr mit sich herumträgt, sind Folgen der Umstrukturierungen der 1990er-Jahre und folgender Perioden. Nach dem Ende des Kalten Krieges sank die Legitimation der Truppe auf ein Minimum: Wozu eine Armee, wenn es keine Feinde mehr gibt? Mit der Legitimation schwand das Budget.

In den Auslandseinsätzen – vom Balkan bis nach Afghanistan – versuchte die Bundeswehr einen neuen Lebenssinn zu finden. Minister wie Franz-Josef Jung, Karl-Theodor zu Guttenberg und dessen Nachfolger Thomas de Maizière trugen dem Rechnung, indem sie die Bundeswehr mit Reformpaketen kleiner, „professioneller“ und „dynamischer“ machen wollten. Phrasen, mit denen man zu verschleiern versuchte, dass schlicht nicht genügend Geld da war, um sich eine Armee zur Landesverteidigung zu leisten. Politisch war auch nichts anderes begründbar. Wenn man heute Angela Merkel vorwerfen möchte, dass sie Deutschland sehenden Auges in die Energieabhängigkeit von Russland geführt habe, dann müsste man mindestens auch dazu sagen, dass das Herabwirtschaften der Bundeswehr ähnlich kurzfristig gedacht war.

Eine Chance hat Pistorius

Unabhängig davon, wie man zum Konflikt in der Ukraine steht, so hat doch dieser Krieg dazu geführt, dass der ganze Westen aus seiner Wohlfühlblase gerissen wurde. Gab es in den frühen 2000ern noch Debatten darüber, ob man das Militär nicht eigentlich gleich ganz abschaffen könne, so ist allen – Politik, Medien, Bürgern, Rechten wie den meisten Linken – klar, dass die Annahme, kein schlagkräftiges Militär mehr zu benötigen, blauäugig und leichtsinnig war. Zwar ist der Krieg in der Ukraine zweifelsohne schrecklich, aber dennoch hat er zumindest in den Köpfen eine „Zeitenwende“ angeregt. Die Bundeswehr ist wichtig – und soll genug Geld zur Verfügung gestellt bekommen, um die Fehler der letzten Jahrzehnte auszubügeln. Das ist eine große Chance für Boris Pistorius, der nun nicht, wie alle seine Vorgänger exklusive Lambrecht, dazu verdammt ist, den Sparkurs mit Politfloskeln schönzureden, bis die nächste Affäre ans Tageslicht kommt. Pistorius kann die Uniform der Bundeswehr wieder zum Ehrenkleid der Nation machen – wenn er denn will. Was er nicht machen darf, ist wieder in alte Freund-Feind-Muster der überwundenen Kalten-Kriegs-Ära zurückzufallen. Doch das steht auf einem anderen Blatt.

Die Baustellen
Boris Pistorius (SPD) steht von Anfang an unter Druck, die „Zeitenwende“ von Olaf Scholz umzusetzen. Die Liste der Probleme, um die er sich kümmern muss, ist lang. Ein kurzer Überblick, ohne Anspruch auf Vollständigkeit:
  • Auch wenn es oft untergeht, viele Probleme finden ihren Anfang beim Bundesamt für Wehrtechnik und Beschaffung. Diese Behörde soll eigentlich die Ausrüstung und die Fahrzeuge der Truppe besorgen, doch mittlerweile ist das Koblenzer Amt zur wuchernden Monstrosität verkommen. Bereits 2010 klagte der damalige Generalinspekteur der Bundeswehr über „[z]ersplitterte Zuständigkeiten, bestehende Verfahren und Prozesse, Einflussnahme von außen und unzureichende Finanzausstattung“. Der letzte Punkt dürfte sich mit der 100-Milliarden-Euro-Finanzspritze des Kanzlers erst einmal erledigt haben, die anderen Punkte erfordern das harte Durchgreifen des Verteidigungsministers, insbesondere deshalb, weil das Beschaffungsamt längst zum eigenen Machtfaktor im Reich der Bundeswehr geworden ist.
  • Daran anschließend: Das Ministerium und die Teilstreitkräfte sind unzureichend organisiert. Ständige Kompetenzkämpfe und mehrere Machtzentren resultieren aus einem fehlenden Generalstab, in dem alle Entscheidungen zur Führung der Bundeswehr getroffen werden müssten. Die Zerschlagung der alten Pole und die Einrichtung eines einem Generalstab ähnlichen Gremiums müsste ein Hauptaugenmerk des neuen Verteidigungsministers sein.
  • Neben den vielen kleinen Rüstungspannen (man denke nur an die Beschaffung des F-35-Kampfflugzeugs oder den „Puma“) haben die Soldaten mit einem Problem zu kämpfen, das in den Offizierschulen gern nichtssagend mit dem Wort „Ethos“ umrissen wird. Traditionserlässe, Medienhetze und fehlender Rückhalt in der Bevölkerung führten zur Frage, wofür es sich überhaupt noch zu kämpfen lohnt. Deutschland? Europa? Die freiheitlich-demokratische Grundordnung? Die Erzählung vom Kampf wird zurückgestellt, in Zeiten von Krieg (wie wir sie haben) ist das fatal. Der Verteidigungsminister muss hier zurückfinden zu alten Traditionen und Vorbildern und einer gemeinsamen Geschichte, die Soldaten motiviert, dieses Land und dieses Volk im Notfall mit dem Leben zu verteidigen. Kann ein SPD-Minister das leisten?

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