Corona-Demos: Der Bundeswehr-Einsatz im Inneren

Die Bundeswehr rüstet auf: 100 Milliarden Euro sind plötzlich da, um die lang verleugnete Truppe wieder auf Vordermann zu bringen. Doch die Streitkräfte sollen von Grund auf reformiert werden, um der vermeintlichen, neuen Gefahr aus dem Osten die Stirn bieten zu können. Vielen Patrioten bereitet vor allem ein Punkt Sorgen: Die Neuaufstellung eines territorialen Führungskommandos, in dessen Zuständigkeitsbereich auch das Niederschlagen von Aufständen fallen könnte. Stehen friedliche Demonstranten gegen Corona-Maßnahmen bald Bundeswehr-Feldjägern gegenüber?

Reform nach Reform

Zunächst müssen wir uns mit den Fakten beschäftigen: In der Tat wird (und muss) die Bundeswehr reformiert werden. Bereits unter der Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) stellte man im Mai 2021 die ersten Eckpunkte einer solchen Reform vor; also noch vor dem Eingreifen russischer Truppen in der Ukraine und auch vor den wildesten „Corona-Demos“ in Sachsen und anderswo im Winter 2021. Jetzt von einer Kurzschlussreaktion der Karrenbauer-Nachfolgerin Christine Lamprecht (SPD) zu sprechen, das wäre wohl falsch. Denn gerade das Konzept der Streitkräftebasis (hier sind alle Truppen gesammelt, die nicht den Teilstreitkräften Heer, Luftwaffe, Marine oder dem Sanitätsdienst zugeordnet werden) stand schon seit längerer Zeit in der Kritik. Zur Streitkräftebasis gehören auch die Feldjäger, sozusagen die Truppenteile, von denen man annehmen könnte, dass sie „prügeln“ könnten.

Das alles soll sich nun ändern. Neben den vier „Dimensionskommandos“ Heer, Luftwaffe, Marine und „Cyber“ sowie streitkräftegemeinsamen Elementen wird es zukünftig eben noch jeweils ein Kommando für die Auslands- und die Inlandseinsätze geben. Das soll die Struktur der Bundeswehr entschlacken, bürokratische Wasserköpfe abbauen und Prozesse vereinfachen. Doch: Was sollen diese Inlandseinsätze eigentlich sein?

Die rechtlichen Grundlagen haben sich nicht geändert

Denn richtig ist: Die Bundeswehr ist nicht dazu da, um im Inneren der Bundesrepublik Deutschland eingesetzt zu werden. Ausnahmen gibt es aber, dazu gehört bekanntermaßen die Amtshilfe, außerdem (logischerweise) der Einsatz im Verteidigungsfall oder der Katastrophennotstand.

Diese Einsätze sollen nun unter dem Dach eines neuen Kommandos koordiniert werden; dazu gehören auch die Organisation und der Transport von NATO-Truppen in Deutschland. Eine Bundeswehrbroschüre aus dem Jahr 2020 betont die Rolle unseres Landes als „Drehscheibe alliierter Truppenbewegungen“. Aber auch ein anderer Punkt findet Erwähnung: Mit dem neuen Kommando werden auch Kräfte verfügbar gemacht, die in besonderen Situationen für einen zügigen Aufbau eines nationalen Krisenstabes bereitstehen können“, heißt es in einem internen Schreiben der Staatssekretärin Margaretha Sudhof. Darunterfallen könnte, neben der Amtshilfe der Bundeswehr bei Pandemien, auch der Einsatz von Soldaten gegen Demonstranten.

Doch an der rechtlichen Lage zum Einsatz der Bundeswehr im Inneren ändert sich auch trotz der Reform nichts, im Gegenteil: Die Entsendung von Feldjägern käme nur im Rahmen eines „inneren Notstands“ in Frage, der vom Artikel 87a im Grundgesetz geregelt wird.

Zur Abwehr einer drohenden Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes kann die Bundesregierung, wenn die Voraussetzungen des Artikels 91 Abs. 2 vorliegen und die Polizeikräfte sowie der Bundesgrenzschutz nicht ausreichen, Streitkräfte zur Unterstützung der Polizei und des Bundesgrenzschutzes beim Schutze von zivilen Objekten und bei der Bekämpfung organisierter und militärisch bewaffneter Aufständischer einsetzen.

Zählen Demonstranten gegen Corona-Maßnahmen als militärisch bewaffnete Aufständische? Eher zweifelhaft. Richtig hingegen wäre das Gegenargument, dass dies letztendlich nur Worte seien. Die Corona-Lehrjahre haben uns vor Augen geführt, dass v.a. die Landesregierungen durchaus bereit sind, Maßnahmen erst einmal durchzusetzen, auch wenn diese später von Gerichten wieder kassiert werden. Deswegen muss man kritisch die Augenbraue heben, wenn Bundeswehrsoldaten „zum Heimatschutz“ gebündelt werden.

Zweifelsohne wird man im Verteidigungsministerium seine Hintergedanken haben, wenn man ausgerechnet Generalmajor Carsten Breuer das neue Kommando anträgt, der bereits den Corona-Krisenstab im Kanzleramt geleitet hatte. Auch im neuen Kommando (das erst im März 2023 seinen Dienst aufnehmen soll) wird er ganz nah an der Politik bleiben und direkt dem Verteidigungsministerium unterstellt sein. Man will gerüstet sein für alle Eventualitäten, für Amtshilfe bei einem Pandemie-Ausbruch, bei einer militärischen Eskalation mit einem äußeren Aggressor – oder bei „staatsfeindlichen“ Protesten, die Polizei und Ordnungsämter an ihre Grenzen bringen. Rhetorisch rüstet die Politik jedenfalls auf und warnt vor einer „Delegitimierung“ des Staates, was bereits dann der Fall ist, wenn man Kritik an Corona-Maßnahmen oder der Russland-Politik äußert. Der erste Schritt zu einer Radikalisierung ist also bereits getan – radikalisiert hat sich aber die Regierung, nicht der Bürger.

Schleichende Repression statt offener Gewalt?

Doch ob es ganz so weit kommt, wird erst die Zukunft zeigen. Vielleicht versucht die Bundesregierung mit den offenbar erwarteten Protesten so umzugehen, wie es Angela Merkel mit der „Flüchtlingsproblematik“ ab 2015 tat: Nach erster, heftiger Kritik setzte ein Umdenken ein, Migranten wurden dezentral untergebracht und über das ganze Land verteilt. Alles nur um eine Ballung zu vermeiden, die sicherlich weitere Aufmerksamkeit generiert hätte. Mit Erfolg: Die Thematik hat einiges an öffentlicher Wahrnehmung eingebüßt (mit dem „erfreulichen“ Nebeneffekt, dass kleine Gruppen von Migranten nun auch in der hinterletzten Einöde zum „Dorfbild“ dazugehören).

Vor diesem Hintergrund – wäre man in derselben Position wie die Bundesregierung – scheint es wenig ratsam, kompanieweise Feldjäger in Flecktarn mit Schild und Helmen und gepanzerten Fahrzeugen aufmarschieren zu lassen, wenn einige Ortsansässige in Zwönitz oder anderswo demonstrieren. Unabhängig vom Rechtsbruch wäre die Unverhältnismäßigkeit für jedermann deutlich zu erkennen; auch für Menschen, die bislang ein auf-die-Straße-gehen für sich bislang ausgeschlossen hatten. Wir alle kennen die Bilder aus der DDR 1989, als Polizei und später NVA-Einheiten mit aller Härte gegen friedliche Demonstranten vorgingen. Für jeden war sichtbar: Dieser Staat ist am Ende.

Auch den Beamten der Bundesrepublik sind diese Bilder im Kopf geblieben und sie fürchten sie. Denn nur die Bilder sind entscheidend.

Wachsam bleiben, vernetzen, auf die Straße gehen

Mit Sicherheit sollte man Augen und Ohren offenhalten, gerade wenn man hört, dass die Bundeswehr nun ein solches territoriales Führungskommando zusammenstellen möchte. Man sollte es nicht auf die leichte Schulter nehmen, wenn der Staat seinen Apparat in Krisenzeiten ausbaut. Man sollte aber auch den Kontakt zur Realität wahren und nicht bei jeder Meldung hysterisch die Trommel rühren. Die Bundeswehr war und ist ein marodes, überbürokratisches und ineffektives Konstrukt, in dem unzählige frustrierte und gedemütigte Soldaten dienen. Welchen Unterschied macht ihr Einsatz, wenn das Volk weiß, was es will?

Das ist der entscheidende Punkt: Wir müssen uns selbst aufstellen. Dezentrale Demonstrationen haben sich im Winter 2021 als besonders effektiv herausgestellt. Die Behörden können verbieten und blockieren: Wenn nur jedes Dorf und jede Stadt jeden Montag mit einer kleinen Belegschaft auf die Straße geht, dann ist es letztendlich egal, ob der Staat zu seinen Hundertschaften noch zwei Feldjäger-Züge dazu organisiert. Und dann ist es auch egal, wenn sie ihren Schlagstock zücken, weil wir wissen, sie haben dann verloren.

Das liegt an den Bildern, die sie fürchten. Dafür benötigen wir aber eine Gegenöffentlichkeit, Medienschaffende und Journalisten, die diese Missstände dokumentieren und aufarbeiten. Nur so können wir die Bilder zeigen. Wir gehen auf die Straße, weil wir Veränderung wollen. Und das kann niemand verhindern.

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