Zeugenaussage Teil 2: Die Struktur der Hammerbande

Es ist der spektakulärste Prozess gegen Linksextremisten seit Jahrzehnten: Vor dem Oberlandesgericht Dresden steht das Urteil gegen Lina Engel und ihre „Hammerbande“ kurz bevor. Entscheidend könnten die Aussagen des ehemaligen Bandenmitglieds Johannes Domhöver sein, der die 27-jährige Angeklagte schwer belastet. Nachdem wir bereits zuletzt berichtet hatten, was Domhöver vor Gericht bis dahin zu sagen hatte, wollen wir euch hiermit auf den neuesten Stand bringen. Davon lest ihr in den etablierten Medien nichts!

Was bislang geschah

Auf der Anklagebank sitzen drei Männer und eine junge Frau. Lina Engel, schwarzer Pullover und aschblondes Haar, wird an jedem Verhandlungstag aus der JVA Chemnitz in den Hochsicherheitssaal des OLG Dresden gebracht. Der Vorwurf: Gemeinsam mit ihren Mittätern soll sie eine kriminelle Vereinigung nach §129 Strafgesetzbuch gebildet haben. Laut Anklageschrift soll die Gruppe zwischen 2018 und 2020 in Leipzig, Wurzen (Sachsen) und Eisenach sechs schwere Überfälle auf vermeintliche Rechte begangen haben. Immer wieder schlugen die Täter mit Hämmern zu, nahmen den Tod ihrer Opfer billigend in Kauf.

Ihre Mitangeklagten, Lennart Arning alias „Mio“ (27), Jannis Röhlig (36) und Philipp Jonathan Mohr alias „Nero“ (27) sind noch auf freiem Fuß, Engels Verlobter Johann Guntermann alias „Lücke“ (28) seit fast zwei Jahren auf der Flucht vor der Polizei. Im Zeugenstand, begleitet von bewaffneten Personenschützern, sitzt ebenfalls einer von ihnen: Johannes Domhöver, fast zwei Meter groß, Kampfsportler. „Jojo“ war Teil der Gruppe, Genosse, Freund – bevor er zuerst verstoßen und dann zum Verräter wurde. Als Kronzeuge belastet er die „Hammerbande“ schwer. Er bestätigt auch, was Ermittler und Beobachter schon lange vermuten: Die Gruppierung ist für zahlreiche weitere Attacken verantwortlich – und noch längst sind nicht alle ihrer Mitglieder gefasst. Die wichtigsten Erkenntnisse aus den ersten Aussageterminen haben wir hier für euch zusammengefasst. In diesem zweiten Teil gehen wir auf Domhövers Aussagen vom 21. September bis 14. Oktober ein.

Steine auf das US-Konsulat

Die erste gemeinsame militante Aktion, die der ursprünglich aus Franken stammende Aussteiger schildert, datiert zurück in das Jahr 2015. Anlässlich des G-7-Gipfels im bayerischen Elmau ziehen rund 100 Vermummte durch Leipzig, werfen Steine auf das Bundesverwaltungsgericht und das US-Konsulat. Schon damals soll es der untergetauchte Johann Guntermann gewesen sein, der über den Krypto-Messenger Jabber dazu aufrief, Ziele systematisch „abzuarbeiten“.

Drei Jahre später wird der gebürtige Hallenser vom Landgericht Leipzig für eine ähnliche Aktion, bei der unter anderem die Scheiben des Landgerichts und eines Friseurladens zu Bruch gehen, zu 19 Monaten Haft verurteilt. Außerdem hatte Guntermann bei einer Legida-Demonstration eine Frau zu Boden geschlagen und sie als „Nazischlampe“ beschimpft. Noch bis September 2019 verbüßte er seine Gesamtstrafe in einem Gefängnis in Nordrhein-Westfalen. Zuvor hatte er bereits in einem sächsischen Gefängnis gesessen. Fotos aus dieser Zeit zeigen ihn mit Sturmhaube im Kraftraum oder beim Hofgang mit anderen militanten Antifaschisten.Während Guntermann im Knast sitzt, übernimmt offenbar Lina Engel die Führung der Gruppe. Drei der angeklagten Taten – zwei Attacken in Leipzig und eine im nahegelegenen Wurzen – fallen in diese Periode.

Generell erhärtet sich das Bild einer gemeinsamen Führungsrolle der Gruppe durch das Antifa-Pärchen, das sich offenbar auch szeneintern wie eine Neuauflage der Linksterroristen Baader und Ensslin gebärdete.

Wer entkam bislang der Polizei?

Zu seiner Entlassung, so schildert es der Zeuge, schmeißt Guntermann, der sich in Frakturschrift „Hate Cops“ auf die Finger tätowieren lassen hat, es im Leipziger Szeneladen „Zoro“ (Bornaische Straße 54) eine Party. Mit dabei waren fast alle, die zum harten Kern der „Hammerbande“ gehören. Seit seiner Haftentlassung ist nicht mal ein Monat vergangen, als die als rechts geltende Kneipe „Bull‘s Eye“ in Eisenach von einem Dutzend Vermummter zum ersten Mal überfallen wird. Doch durch die entschlossene Gegenwehr des Kneipiers wird Guntermann verletzt, verliert Blut – und hinterlässt eine DNA-Spur.

Wegen des Misserfolgs entschließen die Linksextremisten, das Opfer noch ein zweites Mal anzugreifen. Der Übermut endet in einer Verfolgungsjagd mit der Polizei, an deren Ende ein Großteil der Angreifer, darunter auch Lina Engel, gefasst wird. Heute sind beide Überfälle Teil der Anklageschrift. Auch die Namen der entkommenen Täter sind durch die Aussagen Domhövers inzwischen bekannt geworden: Der Leipziger Paul „Bolle“ Müntnich und sein Mitbewohner Julian Wohlfahrt. Gegen sie wird ein weiteres, abgetrenntes Verfahren geführt.

Der „Inner Circle“

Nachdem der Kronzeuge bereits geschildert hatte, wo und wie für Überfälle „trainiert“ wurde, ging er bei den letzten Verhandlungsterminen genauer auf die innere Struktur der Gruppe ein. Über die interne Kommunikation haben wir bereits in Teil I dieser Recherche berichtet. Ergänzt wurde nur nochmals, welche Messenger und Verschleierungstechnologien im Laufe der Jahre benutzt wurden (u.a. Muble, Pidgin, Jabber, Signal, Tor-Browser). Besonders interessant aber ist für das Gericht und die Anwälte eine Zeichnung von konzentrischen Kreisen, die Domhöver offenbar für die Ermittler des sächsischen LKA angefertigt hat.

Zum innersten Kreis um das Pärchen Lina Engel und Johann Guntermann ordnet er Lennart Zaphod Arning, Jannis Röhlig, Julian Wohlfahrt, Paul Müntnich sowie dessen Freundin „Ida“ ein. Alle haben einen regionalen Bezug zu Leipzig. Im mittleren Kreis darum sieht er Tobias Edelhoff sowie die Berliner Philipp Jonathan Mohr und auch sich selbst, wobei die jeweiligen Rollen nach Wohnort und Ortskenntnissen auch wechseln konnten. Der Berliner Kreis sei also vor allem aufgrund der räumlichen Distanz nicht so stark involviert gewesen. So will der Aussteiger auch zu einigen der angeklagten Taten wie die Überfälle auf einen ehemaligen Stadtrat sowie einen Kanalarbeiter in Leipzig keine Informationen haben.

Schließlich gibt es der Skizze nach einen äußeren Kreis von Personen aus dem ganzen Bundesgebiet, die situativ rekrutiert wurden und der sozusagen den Teilnehmerpool für die größeren „Trainings“ für militante Aktionen (siehe Teil I) bildete. Namentlich hervorgehoben wurde aus diesem Spektrum ein „Edgar“ aus Berlin. Nicht namentlich erwähnt wurde hingegen der Leipziger Gustav Justus Wolter, der aber mit mindestens zwei Taten der „Hammerbande“ in Verbindung gebracht werden kann: Zum einen wurde die DNA des einschlägig bekannten Türstehers nach dem Überfall auf den ehemaligen Leipziger Stadtrat Enrico B. am Tatort gefunden, zum anderen fiel er der Polizei gemeinsam mit Tobias Edelhoff beim Auskundschaften der später attackierten Kneipe in Eisenach auf. Daher gehörte der Leipziger Wolter zumindest anfangs zu den Tatverdächtigen, soll unbestätigten Informationen zufolge derzeit aber wegen eines anderen Delikts in Haft sitzen.

Hitzköpfiger Täter

„Starr oder hierarchisch“ sei das „Geflecht“ nicht gewesen, wohl aber wird klar, dass im Mittelpunkt immer Lina Engel und ihr Lebensgefährte standen. Während der Kronzeuge die inhaftierte Hauptangeklagte als „ruhig“, „überlegt“ und „bedacht“ beschrieb, charakterisierte er ihren Partner Johann Guntermann als das genaue Gegenteil: Es fallen Adjektive wie „harsch“, „stressig“, „anstrengend“, aber auch „schusselig“. Vor allem sei dem nach wie vor flüchtigen Gefährder besonders wichtig gewesen, immer persönlich an den Aktionen teilzunehmen, um den Schaden zu „maximieren“.

Diese Aussage lässt möglicherweise auch darauf schließen, dass die brutalen Angriffe nach der Verhaftung von Lina Engel mit seiner Beteiligung stattgefunden haben dürften – insbesondere zwei Überfälle in Eilenburg und Erfurt im März und Mai 2021, bei denen sich die Täter als Polizisten ausgaben und ihre Opfer in deren eigener Wohnung folterten. Dafür spricht zum einen der zeitliche Ablauf des Geschehens: Bereits zuvor hatte Domhöver erklärt, Guntermann sei nach seiner Rückkehr aus Thailand und den daraufhin ergangenen Haftbefehl zunächst im Leipziger Umland untergetaucht. Zeugen sollen außerdem geäußert haben, am Vorabend der Attacke auf den JN-Vorsitzenden Paul Rzehaczek einen „Späher“ vor dem Haus des Opfers gesehen zu haben, dessen Beschreibung ziemlich genau auf den Linksextremisten passt.

Teil 1 unserer Recherche: 

Militanz als Franchise

Die Attacken der Gruppe beschränkten sich dabei nicht nur auf Sachsen und Thüringen, sondern gingen offenbar weit darüber hinaus. Laut Johannes Domhövers Aussage wollte Johann Guntermann das Konzept klandestiner und extrem militanter Kleingruppen als eine Art „Start-up“ vermarkten. So habe der 28-Jährige den Kronzeugen beispielsweise für den Überfall auf einen Thor-Steinar-Ladengeschäft in Dortmund im November 2019 angefragt. Die Verkäuferin wurde mit Pyrotechnik, Buttersäure und Teerfarbe attackiert. Ein auf der linksextremen Plattform Indymedia veröffentlichtes Bekennervideo, das Guntermann anfertigte, sollte gleichzeitig als Geldbeschaffung für die Gruppe und als Motivation für potenzielle Nachahmer dienen. Militanter Antifaschismus koste „viel Zeit und Geld“, war dort zu lesen, eine Bitcoin-Wallet als Spendenmöglichkeit angegeben. Auch wurde explizit dazu aufgerufen, dass staatlich geförderte AStAs und „Kulturprojekte“ Gelder für militante Zellen zur Verfügung stellen sollen. Der Überfall auf den Thor-Steinar-Laden ist zwar nicht Teil der Anklage, dürfte aber besonders für die Betreiber der Modemarke interessant sein – schließlich öffnet sich hier eine Möglichkeit für Schadenersatzforderungen.

Indes hatten Beobachter schon länger die Vermutung geäußert, dass auch dieser Angriff auf das Konto der „Hammerbande“ gehen dürfte – was sich nun also zu bestätigen scheint. Als Beteiligten nennt der Kronzeuge unter anderem Paul „Bolle“ Müntnich, gegen den inzwischen ein abgetrenntes Verfahren läuft. Auch ein anderer Name fällt in den Aussagen immer wieder: der des Dortmunders Moritz Julius Becker. Gemeinsam mit Johann Guntermann und dem Kronzeugen selbst gehört(e) dieser zur Graffiti-Crew Nakam, deren Lackspuren bis nach Thailand führen.

Der Name sagt viel über die Gedankenwelt der Linksextremisten: Eine Anspielung auf eine jüdische Terrorgruppe, die nach Ende des Zweiten Weltkriegs aus Rache für Auschwitz das Trinkwasser deutscher Großstädte vergiften wollte. Der 1992 in Unna geborene Becker ist wie auch sein älterer Bruder seit deutlich über zehn Jahren in der militanten Antifa-Szene aktiv und reichlich polizeibekannt. Als passionierter Sprayer gilt er als Gründer und treibende Kraft von Nakam. Zu der linksextremen Graffiti-Crew gehörten laut Aussage von Johannes Domhöver neben Moritz Julius Becker und dem Aussteiger selbst noch Johann Guntermann sowie Philipp Jonathan Mohr. Insgesamt hat der Kronzeuge fünf Personen aus dem Kreis der „Hammerbande“ mit Straftaten belastet, die im derzeitigen Verfahren bisher keine Beschuldigten sind.

Agenten in Warschau

Im weiteren Verlauf der Befragung ging es insbesondere um die Rekrutierung des Kronzeugen durch den Verfassungsschutz. Nach seinen Angaben sei er das erste Mal vor seinem Arbeitsplatz – einer Warschauer Kita – von Beamten des deutschen Inlandsgeheimdienstes angesprochen worden. Diese seien in Begleitung von sechs polnischen Agenten gewesen. Man habe ihm seine ausweglose Situation und eine drohende mehrjährige Haftstrafe dargelegt und ihm schließlich eine Unterbringung im Zeugenschutzprogramm angeboten.

Nachdem er zuvor von seinen ehemaligen Genossen als angeblicher Vergewaltiger geoutet worden war, entschied sich Domhöver nach zweitätiger Bedenkzeit, das Angebot anzunehmen. Es folgten diverse „Gespräche“ mit Verfassungsschutz und LKA in Polen, Dresden und der Schweiz. In den Alpen traf man sich offenbar, um ein größeres Entdeckungsrisiko in der Bundesrepublik zu vermeiden. Seiner Aussage zufolge erhält Domhöver für seine Zusammenarbeit mit den deutschen Behörden Zeugenschutz und 1.500 Euro monatliche Zuwendungen, von denen er Anwalt und Lebensunterhalt selbst bestreiten muss.

Lange haben auch bürgerliche Linke, Politiker und Journalisten Lina Engel als unschuldig verfolgte Studentin verharmlost und die Existenz terroristischer Antifa-Gruppen geleugnet. Mit seiner spektakulären Aussage dürfte Johannes Domhöver dem vorerst ein Ende gesetzt haben. Die Mitglieder der „Hammerbande“ fühlten sich – auch das geht aus den Aussagen des Kronzeugen hervor – als „Elite“ der linksextremen Szene, als „die Krassen“. Sie nahmen den Tod ihrer zahlreichen Opfer billigend in Kauf. Und ihnen allen war bewusst, dass im Falle ihrer Enttarnung eine Anklage wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung im Raum stehen würde. Der Berliner Philipp Jonathan Mohr ließ sich den entsprechenden Paragrafen 129 sogar tätowieren. Wenn auch nicht der weltweite Kommunismus, zumindest dieser Wunsch des Linksextremisten scheint in Erfüllung zu gehen. Tatsächlich drohen Lina Engel und ihren Mittätern im Falle einer Verurteilung bis zu zehn Jahre Haft. Das könnte allerdings durchaus noch bis Anfang nächsten Jahres dauern: Nach mittlerweile über 70 Verhandlungstagen ist noch immer kein baldiges Urteil in Sicht.

Dafür allerdings dürfte dank Johannes Domhöver bald mit weiteren Prozessen und interessanten Erkenntnissen zu rechnen sein, die Journalisten und Parlamentarier aufarbeiten können.

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