Landwirtschaft – Zwischen Ökonomie und Ökologie

Die Bauernproteste in den Niederlanden und ihr Überschwappen in die benachbarten europäischen Staaten werden in dieser Woche unser Themenschwerpunkt sein. Wir liefern eine Pro- und Contra-Betrachtung zu den komplexen Hintergründen, lassen das Thema von einem Fachpolitiker einordnen und machen die Proteste zum Aufhänger eines neuen Podcast-Formats.
Unser Autor Thore Stein ist Agrarwissenschaftler und Baubiologe. Er sitzt für die AfD im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern und ist dort parlamentarischer Geschäftsführer der AfD-Landtagsfraktion und fachpolitischer Sprecher für Denkmalschutz, Forst- und Jagdpolitik und Natur- und Umweltschutz. Er ordnet uns das Thema als Wissenschaftler und Fachpolitiker ein. 

 

Die deutsche Agrarbranche ist im stetigen Wandel und doch sind die Umbrüche, die sich seit einigen Jahren am Horizont abzeichnen und zunehmend die betriebliche Praxis erreichen mehr und gravierender als die bisherige evolutionäre Fortentwicklung eines uralten Wirtschaftszweiges. Es sind vielfältige Herausforderungen, die die Landwirte in Deutschland dieser Tage zu stemmen haben. Und eines ist so sicher wie das Amen in der Kirche: Viele heute noch existente Betriebe werden diese Umbrüche nicht überstehen.

Rückblick

Es ist unabdingbar einen Blick in die Vergangenheit zu werfen, um die Entwicklungen der letzten Jahrzehnte in ihrer Konsequenz für das Heute zu verstehen. Landwirtschaft, also die Herstellung und Gewinnung von Nahrungsmitteln, begleitet den Menschen seit seiner Sesshaftwerdung. Sie unterscheidet sich immanent vom Nomadentum, denn dieses kennt weder Ackerbau noch die landwirtschaftliche Vorratshaltung zur Ermöglichung von Anbauzyklen.

Der Ackerbau und die damit verbundene Tierhaltung ist Voraussetzung und Grundlage der menschlichen Zivilisation. Der Ackerbau allein hat es ermöglicht Energiereserven zur Verfügung zu stellen, die die tägliche Suche und Jagd überflüssig werden ließ. Erst so konnte Nahrungsüberschuss produziert werden und eine Diversifizierung und somit Spezialisierung innerhalb menschlicher Zivilisationen stattfinden. Prozesse, die in einigen Urvölkern bis heute nicht stattgefunden haben.

Es gab innerhalb der landwirtschaftlichen Geschichte Entwicklungssprünge, die markante Wegmarken für zivilisatorische Entwicklungen darstellten: die Einführung der Mehr-Felder-Wirtschaft, die gezielte (Auslese-)Züchtung von Nutzpflanzen und Nutztieren oder die Anwendung von Düngemitteln. Und doch waren Unterversorgung und Hungersnöte noch bis in den 20. Jahrhundert hinein keine Ausnahmeerscheinung, auch wenn diese häufig kriegerische Ursachen hatten.

Der Rückgang des Arbeitskräftebedarfs durch Innovation auf den Bauernhöfen ermöglichte die Abwanderung von Menschen in die aufstrebenden Industriezentren, die Ertragssteigerung der landwirtschaftlichen Produktion konnte diese rein urbanen Gebiete mitversorgen. Im Gegenzug fand eine Technisierung der Produktion auch auf den Agrarbetrieben statt, diese wiederum führte zu einem noch geringeren Arbeitskräftebedarf. Zeitgleich stieg aber auch die Abhängigkeit der landwirtschaftlichen Produktion von Betriebsmitteln aus einem vorgelagerten Bereich und somit vom Kapital. Ein Prozess wurde in Gang gesetzt, der bis heute anhält und als Strukturwandel umschrieben wird. Kleine Betriebe, die häufig der Eigenversorgung im Neben- oder Haupterwerb dienten (mit geringen Überschüssen), wurden zunehmend unrentabel und daher aufgegeben. Diese Entwicklung zeichnete ich schon im auslaufenden 19. Jahrhundert ab und nahm spätestens nach dem Ersten Weltkrieg rasant an Fahrt auf.

Denn gerade das 20. Jahrhundert war wie kein vorheriges und wie kein nachfolgendes Jahrhundert geprägt von den enormen Zuwachsraten der Agrarproduktion. Während im Jahr 1900 ein Landwirt in Deutschland noch vier zusätzliche Menschen von seinen Erzeugnissen versorgen konnte, sind es heute bis zu 150 Personen. Die Erträge haben sich vervielfacht, sowohl im pflanzlichen als auch im tierischen Produktionssektor. Zeitgleich brach aber der Arbeitskräftebedarf massiv ein und die Landwirtschaft spielte in den aufstrebenden Industrienationen eine zunehmend unbedeutendere Rolle in volkswirtschaftlicher Hinsicht.

Und während es im Jahr 1900 noch bemerkenswerte 30 Prozent der Bruttowertschöpfung waren, die die landwirtschaftliche Urproduktion beisteuerte, ist dieser Wert heute auf 1 Prozent gesunken. Selbst wenn man die vorgelagerten und nachgelagerten Bereiche mit einbezieht, kommt man auf gerade mal 6 Prozent.

Landwirtschaft im gesellschaftlichen Spannungsfeld

Als wirtschaftlicher Akteur ist die Agrarbranche in Deutschland, insbesondere die Urproduktion (also die Bauern), kaum noch von Bedeutung. Und da verwundert es kaum, dass Wahlerfolge schon lange nicht mehr mit der ländlichen (landwirtschaftlichen) Bevölkerung gewonnen werden, sondern mit den Wunschvorstellungen der urbanen Gesellschaften.

Dabei wird das Bild, welches die Konsumenten von der Erzeugung ihres täglich‘ Brot haben immer weltfremder. Es wird getragen von einer Bilderbuchidylle des ländlichen Lebens, welches mit den modernen, hocheffizienten Agrarbetrieben immer weniger zu hat und Realitäten der globalisierten Agrarmärkte ausblendet bzw. überhaupt nicht kennt.

Denn die Lebensmittelproduktion dieser Tage ist global geregelt, sie liegt in den Händen weniger großer Konzerne und Handelsketten. Regionale Verarbeiter und Vermarktung sind zu Nischen geworden, eine romantische Vorstellung jenseits der Massentauglichkeit und der Kompatibilität zum Konsumentenverlangen nach günstigen und ubiquitär verfügbaren Lebensmitteln. Und da scheint es für die breite Masse der Bevölkerung, die seit Jahren auf einen quasi-religiösen Umwelt- und Klimaschutz eingeschworen wird, vollkommen unverständlich, wenn sich die kleine Randgruppe der Landwirte gegen immer höhere und strengere Auflagen wehrt, so wie aktuell in den Niederlanden.

Dabei haben es die Restriktionen durchaus in sich. Nirgendwo auf der Welt wird unter solch hohen Umweltstandards produziert wie in Europa und insbesondere Deutschland. Diese Standards kosten Geld und gehen zu Lasten der Produktivität. Sie wurden hierzulande lange durch einen exzellenten Ausbildungsstand und einen hohen Grad an Technisierung ausgeglichen, sodass deutsche Agrargüter nach wie vor auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig waren, nicht zuletzt auch aufgrund der hohen Subventionen aus Brüssel. Dieses System der „Einkommensstützung“ soll nun schrittweise weichen hin zu einem Anreizsystem, in dem nur Jener Geld erhält, der im Sinne der neuen „Farm-to-fork“-Strategie Umweltdienstleistungen erfüllt.

Der Erhalt von öffentlichen Geldern ist somit noch stärker gekoppelt an eine umweltschonende Art der Bewirtschaftung. Was gut klingt, bringt auf den globalen Märkten letztlich entscheidende Nachteile für die heimische Landwirtschaft, denn die hohen Auflagen und Standards verteuern die Produktion hierzulande massiv, während Agrarimportschranken nur halbherzig umgesetzt werden.

Denn der Bedarf an Lebensmitteln wird nicht sinken, er wird nur aus anderen Regionen dieser Erde gedeckt werden. Man exportiert somit die Umweltbelastungen und importiert die Agrargüter. Das entspricht der mittlerweile in vielen Bereichen vorhandenen Mentalität der westlichen Staaten, sich im direkten Umfeld eine Heile Welt zu konstruieren; sei es bei der sogenannten Energiewende oder dem Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor. Woher Atom- und Kohlestrom in Zukunft kommen ist zweitrangig; Hauptsache nicht aus Deutschland. Und so sieht es auch mit der von den Grünen, mittlerweile Regierungspartei, ausgerufenen Agrarwende aus.

Bauernverbände und Protestbewegung

Erstaunlicherweise hat die CDU bereits seit langer Zeit ihre Rolle als „Bauernpartei“ aufgegeben und sich in ihrem konsequenten Marsch in die Mitte auch dieser Interessengruppe entledigt, ähnlich wie der Vertriebenenverbände.

Dabei erfährt die CDU, insbesondere in den westlichen Bundesländern nach wie vor den größten Zuspruch aus der Bauernschaft. Das liegt vor allem an der tiefen Verwurzelung dieser Partei bis hinein in kommunale Ebenen, Vereine und Verbände. So sind häufig Landfrauenverbände, Bauernverbände und Kirchenvorstände fest in der Hand von CDU-/CSU-Parteibuchinhabern. Zwar steigt auch innerhalb dieser Strukturen zunehmend der Frust. Ausdruck dessen ist unter anderem die Gründung von Proteststrukturen wie der Initiative Land-schafft-Verbindung (LsV), und doch steht der sehr mächtige Bauernverband noch in Nibelungentreue zur alten CDU. Wahrscheinlich bis zum bitteren Ende.

Zunehmend wenden sich Landwirte jedoch vom größten Interessensverband der deutschen Landwirtschaft ab, da sie sich nicht mehr entsprechend ihrer Vorstellungen vertreten, wenn nicht gar verraten fühlen.

In dieses Vakuum stößt aktuell sehr erfolgreich die genannte Protestbewegung von LsV hinein und kanalisiert den Zorn des Bauernstandes. Sehr zum Unmut der Politik, da hier eine Protestbewegung entstanden ist, die eben nicht wie die straff organisierten Interessensvertretungen von Parteigängern kontrolliert wird.

Und so war es wenig verwunderlich, dass schnell eine ideologische Nähe zur AfD ins Feld geführt wurde, was wiederum zu reflexartigen Abwehrhaltungen führender Mitglieder der LsV-Bewegung führte. Denn in der Tat tut sich auch die Bauernschaft schwer sich zur Alternative für Deutschland zu bekennen; zu groß ist der gesellschaftliche Druck. Dabei ist die AfD die einzige Partei in Deutschland die tatsächlich noch ein Interesse an einer autarken Landwirtschaft auf nationaler Ebene hat und ein konsequentes „Los-von-Brüssel“, eine Renationalisierung der Agrarpolitik, fordert. Aber auch innerhalb der AfD gibt es in Hinblick auf die Agrarwirtschaft noch zu wenig Fachwissen, zu wenig Visionen und zu wenig Realismus. Auch hier dominieren zum Teil Verklärung und Öko-Träumerei. Dabei muss eine effektive Landwirtschaft Umwelt- und Naturschutz nicht ausschließen. Es kommt schlichtweg auf die Herangehensweise an.

Leitbild einer nationalen Agrarstrategie

Die Landwirtschaft dient der Ernährung der Menschen. Sie liefert darüber hinaus seit jeher Agrarrohstoffe für die industrielle Anwendung oder den Bausektor. Diese Ziele stehen übergeordnet über allen weiteren Fragen.

Die Ernährungssicherheit des Volkes, deren Fragilität aufgrund von Kriegswirren und Lieferkettenproblemen, als plötzlich Senf, Mehl und Bratöl knapp wurden, schmerzlich ins Bewusstsein des überflussgesättigten Westens rückte, ist seit jeher eine Achillessehne aller Nationalstaaten. Deutschland verlor den Ersten Weltkrieg nicht zuletzt aufgrund der Hungerblockade gegen das Kaiserreich, die die Moral und den Kampfeswillen im Volk mehr schmälerte als die Blutmühlen der Westfront. Die Nationalsozialisten erkannten diese strategische Schwachstelle und unternahmen große Anstrengungen die deutsche Nahrungsmittelproduktion „kriegssicher“ auszubauen.

Und selbst das Friedensprojekt der EWG und später die Europäische Union waren sich der Macht des Hungers stets bewusst und so war das vorrangige Ziel der Gemeinsamen Agrarpolitik in den 60er und 70er Jahren die Produktion von ausreichend und bezahlbaren Nahrungsmitteln. Ohne Rücksicht auf Natur, Umwelt und den Menschen wurde die Landwirtschaft auf Leistung getrimmt. Ein Vorgehen, welches im übrigens bereits Ende des 19. Jahrhunderts auf die Industriezentren Europas zutraf.

Erst die Globalisierung und die Möglichkeit durch technische Innovation, den gezielten Einsatz großer Mengen von Kunstdüngern und züchterische Leistung immer mehr unproduktive Flächen aus der Produktion zu nehmen, sowie die wachsende Erkenntnis über die Folgekosten einer rücksichtslosen Ausbeutung des Bodens und der angrenzenden Naturräume ließen ein Umdenken aufkommen.

Das ist in seiner Grundkonzeption richtig und wird von niemandem verneint. Es bleibt aber stets die übergeordnete Aufgabe bestehen, das Volk mit ausreichend Nahrungsmitteln zu versorgen; nicht zuletzt, um die geopolitische Achillesferse möglichst klein zu halten. Denn kein Staat kann es sich leisten, die Ernährung seiner Bevölkerung vom guten Willen Dritter abhängig zu machen.

Und so muss es das primäre Ziel einer autarken, nationalen Agrarkonzeption sein einen möglichst hohen Grad an Eigenversorgung durch die im eigenen Land stattfindende Produktion zu gewährleisten. Russland ist diesen Weg in den letzten zwei Jahrzehnten konsequent gegangen, auch mit Hilfe deutscher Landwirte.

Deutschland weist im Gegensatz zum Riesenreich Russland eine hohe Bevölkerungsdichte auf, hat eine hohe Anzahl an Menschen zu versorgen und hat dafür nur noch vergleichsweise wenig Anbaufläche zur Verfügung. Es muss somit eine intensive Produktion stattfinden, um auf der gegebenen Fläche ein Maximum an Ertrag zu erzielen. Mit Ökologischem Landbau ist das schlichtweg nicht möglich, da die Erträge in fast allen Bereichen deutlich unter dem Niveau des konventionellen Landbaus liegen.

Fazit

Die hohe Intensität der modernen Landwirtschaft bedingt einen enormen Kapitaleinsatz, der häufig nicht mehr aus den Betrieben heraus gestemmt werden kann, da die Erlöse aus der Urproduktion zu gering sind. Wer also den Zustrom landwirtschaftsfremden Kapitals, der nicht grundsätzlich negativ sein muss, verhindern will, muss die Erlösseite der landwirtschaftlichen Produktion stärken und/oder entsprechende staatliche Hilfen zur Verfügung stellen. Auch das sind keine neuen Erkenntnisse, historische Beispiele lassen sich dazu problemlos finden.

Dagegen sind Verbote und Restriktionen, Einschränkungen und Auflagen stets in Abwägung zum Ziel, der Ernährungssicherheit, zu betrachten. Ein geschützter Agrarmarkt lässt hier sicher weitreichendere Maßnahmen zu, ohne die eigene Produktion dem „günstigen Weltmarkt“ zu opfern, was derzeit geschieht und sich durch die „Farm-to-fork“-Politik der EU noch deutlich verschärfen wird.

Am Ende liegt der Lösungsweg wie so oft im Leben in der „goldenen Mitte“. Es gilt ein Maximum an landwirtschaftlichen Erträgen zu generieren bei einem Minimum an Umweltbelastung. Der Weg dorthin muss über Innovation, eine gute Ausbildung, einen fairen Markt laufen – und vor allem über eine ehrliche faktenbasierte Debatte in der Gesellschaft. Ideologie und Realitätsferne führen nicht zum Ziel. Das hat der Misserfolg der Reichserbhöfe im Dritten Reich ebenso gezeigt wie die Bodenreform und Zwangskollektivierung der Kommunisten.

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